“Agile Transformation – Funktioniert das?”, habe ich mich zum Ende der letzten Episode gefragt.
Heute habe ich gleich zwei Experten zum Interview eingeladen. Anke Heines von LEADaktiv kennen Sie schon; Markus Bleher, Geschäftsführer von HEMA, wird uns heute wie angekündigt von der agilen Transformation in der Praxis berichten. Und das quasi live, denn sein Unternehmen befindet sich mitten in der Transformation.
Vorher
Die Firma HEMA Bandsägetechnik und Schneidsysteme war bis 2013 ein klassisches, kleinmittelständisches Familienunternehmen, mit etwa 50 Mitarbeitern. Die klassische Unternehmensführung für die Serienproduktion und seltene Sonderkundenwünsche hat fast 90 Jahre lang funktioniert.
HEMAs Betriebsstruktur war für eine serielle Produktion ausgelegt. Niemand musste denken, höchstens der Kunde beim Bestellen. Die klassische Unternehmenshierarchie war steif, es gab schließlich auch keinen Grund dies zu ändern.
Geschäftsleitung
Betriebsleitung
Leitung für: Einkauf, Fertigung, Konstruktion, Montage
Mitarbeiter
Sondermaschinen wurden selbstverständlich auch gebaut, Änderungen brauchten jedoch lange, um durch die Entscheidungsinstanzen kommuniziert zu werden, was einen erheblich längeren Lieferzeitraum beanspruchte.
Wendepunkt
Treiber für die Agile Transformation im Unternehmen
Für Markus zählte nicht nur die Anpassung an die ökonomischen Anforderungen.
Wichtige Fragen waren für ihn ebenso:
Wo sehe ich das Unternehmen in 5 Jahren?
Wie sieht meine Zukunftsvision vom Unternehmen aus?
Befinde ich mich auf dem Weg zu dieser Vision?
Vertraue ich meinen Mitarbeitern?
Wie kann ich die Kompetenz meiner Mitarbeiter besser nutzen?
Welches Unternehmen möchte ich an die nächste Generation weitergeben?
Sollen fachlich kompetente Mitarbeiter in Führungspositionen gedrängt werden?
Ist Führungsposition = soziale Anerkennung?
HEMAS akuter Auslöser war ein russischer Großauftrag im Jahr 2013, der den Umsatz für dieses Jahr verdoppeln sollte. Es musste also eine Änderung her. Dass diese so radikal wird, haben selbst die Geschäftsführer nicht gedacht. Anke Heines und die Herausforderung haben jedoch überzeugt.
Ergebnis: Ab 2013 hatten die Mitarbeiter prinzipiell keine Vorgesetzten mehr.
Selbstverständlich gab es eine Ankündigung, Gespräche vorab mit der Belegschaft und Workshops, um die Mitarbeiter und auch die Chefs auf diesen Schritt vorzubereiten. Die Agile Transformation ist zu allererst ein kommunikativer Prozess.
Herausforderungen
Eine Agile Transformation passiert nicht ohne Herausforderungen – für den Chef UND die Belegschaft
- Kontrolle abgeben
- wechselseitiger Vertrauensvorschuss
- sich auf Augenhöhe begegnen
- mit Fehlern rechnen und diese zu schätzen wissen
- Kommunikationsverhalten ändern
- neuer Führungsbereich für den Chef: Mitarbeiterbetreuung und -coachings
- neuen Wirkungskreis für alte Führungskräfte
Den letzten Punkt möchte ich an dieser Stelle ausweiten.
Wohin mit dem Führungspersonal?
Die Firma HEMA hat sich dazu entschlossen, keine Mitarbeiter im Zuge der Agilen Transformation verlieren zu wollen. Es brauchte also neue Arbeitsplätze für die ehemaligen Führungskräfte. Und was liegt da näher, als sich deren Stärken genauer anzuschauen und anhand derer nach wertschöpfenden Bereichen zu suchen? Bei HEMA gab es z.T. sogar Positionen, die dringend besetzt werden mussten und für die diese Mitarbeiter optimal geeignet waren. Es wurden ganz neue Bereiche wie Aftersales integriert.
Die Gehaltsfrage war dabei nebensächlich. Es hat sich schlichtweg nicht geändert, denn die Produktivität der Firma ist durch die Agile Transformation gestiegen. Es hätte folglich gar keinen Grund gegeben, Gehälter zu kürzen.
Heute
Neben all den Vorteilen, die wir Ihnen in der letzten und heutigen Episode dargelegt haben, hat Markus von einem weiteren Phänomen berichtet. Die Mitarbeiter wurden von den Ketten der klassischen Hierarchie befreit. Sie sind motivierter, ideenreicher, teilhabender und vor allem: wertschöpfender. Das Arbeitsklima und der Spirit der Firma hat sich spürbar gewandelt.
Markus’ Gesamtfazit für die Firma HEMA lässt sich desweiteren in verschiedene Bereiche unterteilen:
Ökonomie
HEMA hat sich den gesamtwirtschaftlichen Änderungen angepasst. Die Produktivität wurde gesteigert, sodass Standardmaschinen nun 15% weniger Lieferzeit beanspruchen. Bei gleichbleibenden Preisen gibt das ein ordentliches Plus an Rentabilität. Und warum? Weil alle Kettenglieder nun in dieselbe Richtung ziehen.
Kundenservice
Kunden erwarten bei HEMA eine 100%ige Liefertreue und eine direkte Kommunikationsmöglichkeit mit dem Unternehmen – Monteuren, Fertigern und auch den Geschäftsführern. Auf Sonderanfertigungswünsche kann aufgrund von kurzen Entscheidungswegen schnell eingegangen werden.
Mitarbeiter
Mitarbeiter haben nun die Möglichkeit, eine Tätigkeit entsprechend ihrer Stärken auszuüben. Das motiviert, macht kreativ. Außerdem werden sie zum Teil eines Ganzen, kriegen Entscheidungsgewalt. Sie werden im einzelnen wichtig für das ganze Unternehmen und sind nicht leicht austauschbar. Um Entscheidungen zu treffen, brauch die Belegschaft Informationen, die nur durch Transparenz zugänglich werden können. Markus’ Betrieb hat dazu einen Newsletter etabliert, dessen Inhalt er im Interview skizziert.
Chefs
Für Chefs ändert sich besonders das Verhältnis zu den Mitarbeitern. Ein Chef braucht während der agilen Transformation vor allem Vertrauen – selbst wenn es zu Fehlern kommen sollte. Außerdem ändert sich sein Tätigkeitsbereich enorm: Weg von operativen Bereichen, von Umsatzzahlen und hin zum Coaching, zur Unterstützung und Motivation.
Firmen-Spirit
Markus erzählt uns von betrieblichen Freizeitaktionen, Grillabenden und Spaß. Das klingt super, um fern von theoretischen Workshops, die Kommunikation untereinander zu bestärken.
Nachher
Wo ein “vorher” steht, muss ich ein “nachher” sein. In diesem Falle nicht. Es gibt kein “nachher”, denn die Agile Transformation ist eine Reise, ein ständiger Wandlungsprozess.
Und wie geht’s weiter?
Anke begleitete bereits viele Unternehmen während der Agilen Transformation. Sie teilt ihr umfassendes Wissen bisher in Präsenz-Seminaren, welches Interessierte auf den Weg bringt, die Agile Transformation im eigenen Unternehmen auf den Weg zu bringen.
Ich denke, die Eingangsfrage konnte Markus mir klar und deutlich mit “Ja, das funktioniert!” beantworten. Das scheint sogar ziemlich gut zu funktionieren.
Ein Riesendankeschön an Anke und Markus für ihren Input in den letzten beiden Episoden. Dieses Thema wird mich auch zukünftig nicht in Ruhe lassen und weiterhin Einfluss auf einige meiner Episoden haben.
Haben Sie wieder eine agile Woche
Ihr OLAF DAMMANN
Der Diplombetriebswirt und MBAE Markus Bleher ist einer der beiden Geschäftsführer des Sägenherstellers Hema. Hema ist ein schwäbisches Familienunternehmen mit inzwischen 90-jähriger Firmengeschichte. Sie haben in 2013 begonnen, ihr Unternehmen agil zu transformieren. Und damit einen durchschlagenden Erfolg gehabt.
Sie können sich das agile Unternehmen live ansehen, dafür bieten sie Praxistage an.
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